Mein Herz, die Metropole

13.10.2013 23:06

Während wir die Calea Victoriei entlangliefen, begann der Schweiß in meinem Nacken zu tanzen und eine fremde Macht hatte mich ergriffen – ich stoppte und sah nach links: eine Gasse hatte meine Aufmerksamkeit geschluckt. Alles fließt, dachte ich, und das Schöne lauert überall, vor allem hier. Doch wie war ich eigentlich hier her gekommen?

Wenn man sich aus irgendwelchen Gründen dazu entscheidet 5 freie Stellen ins Gesicht schießen zu lassen und diese dann mit Schmuck zu stopfen, hat man phänomenologisch betrachtet kaum Probleme – außer dem speziellen Zoo-Gefühl natürlich, vor allem in Ländern, die naja sagen wir mal, eher konservativ daher kommen. Dies alles aber ändert sich, wenn man mit so viel Titan, Eisen und Metall auf einen Flughafen trifft. Flughäfen, diese Nicht-Orte, an denen wir nur sind, nur ver-weilen, um woanders landen zu können, ein Abenteuer zu beginnen, mit Identitäten zu spielen, eine Perspektive zu wechseln oder einfach nur der Illusion in den Fang gehen wollen, Schokolade und anderes komisches Zeug, billiger erwerben zu können. Als ich mit 16 nach Bulgarien geflogen war, ließ man mich gleich dreimal durch die Kontrolle laufen. Sie hatten schnell verstanden, aber es war dann doch der Gürtel. Mit 17 in Kroatien war man schneller. Schon bei dem zweiten Versuch winkte man mich durch. Einigen müden Augen hatte ich allerdings ein kurzes Aufblitzen gezaubert. Auch letztes Jahr in Polen, schien man zunächst verwirrt und ich fragte mich, was die für einen Alltag erleben. Nur Rumänien hatte mich da überrascht, als ich vor zwei Jahren an einem warmen Spätsommermorgen in Bukarest die Kontrollzone erreichte, grinste man mich nur an und ließ mich einfach durch. Ich war erleichtert, wurde ich doch auf dem Hinflug bis auf die Knochen gestalkt. Doch in Rumänien dann, hatte sich das aufgelöst und dem „leicht“ in „er-leicht-ert“ hatte sich der der Geruch nach Freiheit, begleitet von Kümmel, Kovríc und Knoblauch beigemischt: Dagegen in Berlin: Curry, Döner und Alkohol – Longs Island ICE Teas genauer gesagt. Irgendwo in einer billigen, indischen Bar am Straßenrand, doch die kitschige Lichterkette hatte uns hergelockt – auch Berlin hat was zu bieten.  Dort hätte man mich wohl eher fast verhaften wollen. Sogar unter meiner Mütze hatten sie wohl Drogen oder ähnliches vermutet, und meine Sonnenbrille – nun die trug ich aus Vor-sorge – musste ich absetzen.

Nun, auf dem Balkan läuft das anders. Ob die Rumänen mich nun schnell wieder loswerden wollten oder eher begeistert, vielleicht sogar verwirrt oder sprachlos waren, werde ich wohl nie erfahren, aber ihre Flughäfen sind herrlich unkompliziert. Vielleicht war der Detektor auch einfach nur ausgeschaltet oder kaputt, dies Alles zählt jetzt nicht mehr, denn was bleibt ist die Erinnerung: Diese Leichtigkeit, Unkompliziertheit war es auch, die ich in The Green Hours fand, als ich in die Calea Victoriei eingebogen war.

 

Endlich hatte auch ich den Jazz kennengelernt und zusammen aßen, tranken und genossen wir den Übergang ins Nachtleben einer Metropole, die man nicht umsonst auch das kleine Paris nennt. Nur ohne den ganzen Dreck und liebes Tamm Tamm. Am Nachmittag noch, war ich fast mit einer der Bodygrads David Garrtes zusammengestoßen, wofür ich böse Blick ernten musste, obgleich man sagen muss, dass in der Hektik des Herzens Bukarest, es nicht gerade schwer ist gegen irgendetwas oder irgendwen zu stoßen oder auch schon einmal im lauten Puls der Stadt 50 Euro fallen zu lassen, um diesen dann hinterher rennen zu müssen, wobei einem 20 Rumänen nur dekadent und leicht amüsiert hinterherschauen. Das Geld liegt hier eben auf der Straße. Niemand interessiert sich für deinen Fuffi merkte ich und dachte an meine Mutter: „Wie kannst du nur nach Rumänien fliegen, die klauen doch nur dein Geld“: Ja ja, die Deutschen schimpfen auf die Polen und die auf die Rumänen. Jedenfalls verfällt die Zeit schnell, wenn man durch Bukarests Gassen schlendert und man hin und wieder ein paar Ron aus der Tasche fallen lässt: 2 Gin Tonic später war Geld ohnehin kein Thema mehr, ich entdeckte ein Cioran Plakat. Es ging um eine Dokumentation und mir fiel wieder ein, wie ich früher in seinem Hauptwerk geblättert, und der eine oder andere Aphorismus sich in meine Seele gesetzt hatte; mit der Absicht zu verweilen. Da plötzlich merkte ich, dass auch in mir ein kleiner Strigoi verloren gegangene sein musste. Auch wenn ich noch immer keine Lust auf Blutwurst bekam, fühlte ich mich dennoch ein bisschen heimisch. Denn als wir uns dann gestärkt ins Nachtleben stürzen, Bukarest die Tagesfarben eingepackt und dafür die veganen Schlemmerbuden ausgepackt hatte, wo man jeden Tag und jede Nacht etwas Neues entdecken konnte, wir uns im alterativen Viertel und ich im Neonlicht verloren hatten, da fühlte ich mich ein wenig betrunken. Ich hatte den Kulturschock erwartet, dabei war ich er. Nun aber fühlte ich mich nicht mehr als Fremdkörper. Spätestens individuell nicht mehr, in der bukarestischen Variante der E-burg, tanzend zwischen tätowierten und gepiercten Livemusikliebhabern und einem Desperados in der Hand; und kollektiv, auf viel zu langen Straßen, die geschmückt waren mit Storchennestern, auch in Polen war Störchezählen ein beliebter Zeitvertreib, mit einer endlosen Auswahl an Lebensmitteln und dann die Seen, die sich versteckten zwischen Burgen und Penny Märkten, die ich nur als Pendant, als Ruhestätte zur hupenden Hektik und telefonierendem Wahn der Hauptstadt interpretierte. Dies Alles fühlte sich nach Heimat an und klebte nun wie die Zeit an mir, so wie ich in meinem neuen Lieblingskaffe. Hier ging es green zu, Gin bekam man zu jeder Tageszeit und der Innenhof, der keinen bayrischen, eisbeinigen Biergarten Charme hatte,  ließ einen ganz vergessen, was man an Nicht-Orten, zwischen künstlichen Metallgrenzen und potenziellen, offenbarenden Verstecken so alles über sich ergehen lassen muss. Das einzige das mich an Rumänien stört, ist, dass der deutsche Pott Kaffee noch nicht assimiliert worden ist. (Hipster sollten also zu Hause bleiben.)