Metaphysik der Medien, Teil II

23.05.2013 23:23

2.2 Der Ausgangspunkt oder die einfache Technik: Natur, Mensch, Kultur und Medien

„Wir denken nicht, wir googeln.“[1]

Noch bevor der Mensch aus seiner angeblich „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ausgetreten ist, trat er im Mittelalter aus der Abhängigkeit der Natur heraus, nach dem er sich als deren Gestalter verstanden hatte. Doch schon kurz darauf, verstand er sich als Herrscher über sie. Nun interagierte er nicht nur mit der Natur, er intervenierte.                                                                                                                                                                Natur 1 (oder einfach Natur) → Die Welt, also alles was der Fall ist, nur ohne uns.

Natur 2 → Die Kultivierung der Natur durch uns, als auch Selbstkultivierung.

Natur 3 → Die geschaffene, virtuelle Realität, aus der Selbstkultivierung (Natur nur noch als Imitation).

Von der Natur entfremdet, bleiben wir aber doch Teil dessen. Dennoch haben wir uns eine dritte Haut geschaffen. Werden wir uns auch von ihr entfremden?                                                                                                                                                                        Hinzukommt, dass Medien sich zunehmend selbst  thematisieren – was sich in Medienhypes,  in übersteigerter Medialität und in dem Begriff der Massenmedien äußert. Schließlich sind Medienlügen nun selbst Teil medialer Berichterstattung. Daher sind zwei Definitionen ratsam:

1) Eine Definition von dem Begriff „Medien“ ist schwierig, daher gibt es auch keine eindeutige, dass sagen sogar die Wissenschaften, die sich mit Medien auseinandersetzen. Bei dem Begriff der „Massenmedien“ sieht es nicht anders aus: „M. ist ein Sammelbegriff für alle audiovisuellen Mittel und Verfahren zur Verbreitung von Informationen, Bildern, Nachrichten etc. Zu den Massen-M. zählen insbesondere die Presse (Zeitungen, Zeitschriften), der Rundfunk (Hörfunk, Fernsehen) und in zunehmendem Maße auch das Internet.“[2]

Und Massenmedien: „[O]ft auch Mainstream-Medien, gemeint sind Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen – also die traditionellen, vor-digitalen Medien, die seit Jahrzehnten die öffentliche Meinung bestimmen.“[3]                                                                                                                                                                        Auch wenn das „bestimmen“ einen Nachgeschmack mit sich zieht, haben wir immer ein Was als „Trägersysteme zur Informationsvermittlung“[4] gewonnen. Es wird also etwas vermittelt. Was ist eigentlich egal, ob nun objektive Tatsachen oder Unterhaltungsindustrie, egal, weil sich diese eigentlichen Gegensätze längst vermischt haben. Oder phänomenologisch gesagt: Es ist egal ob der Gegenstand für mich tatsächlich da ist, der Gegenstand naturalistisch, also faktisch gegeben ist, oder ob ich von ihm träume. Die Empfindungen sind ja trotzdem da. Dies produziert Affekte. Bilder produzieren Affekte, Affektbilder mehr als (stille) Bilder - und dies wiederum Emotionen. Die „Medienmacher“ wissen das. Dieses Wissen ist aber ein gefährliches. Diese Technik birgt etwas in sich gefährliches[5].

2.3 Eine kleine Geschichte der Technikphilosophie

„Kaufen und Verkaufen gilt jetzt als gemein wie die Kunst des Lesens und Schreibens; jeder ist jetzt darin eingeübt, selbst wenn er kein Handelsmann ist, und übt sich noch an jedem Tage in dieser Technik: ganz wie ehemals, im Zeitalter der wilderen Menschheit, jedermann Jäger war und sich Tag für Tag in der Technik der Jagd übte.“[6]

Der Begriff „Technikphilosophie“ ist weder neu noch alt. Ähnlich wie Baumgarten mit seiner Philosphica Aesthetica[7] die Ästhetik zur philosophischen Disziplin erhoben hatte – und man muss sagen: zum Glück - tat dies Ernst Kapp[8], ein Hegelianer, mit der Technik. Doch wie immer wurde schon in der Antike über dieses Thema deliberiert. Über Kapp gelang dieses Thema dann in die Hände der philosophischen Anthropologen, die den Menschen als Mängelwesen be-stimmten; die nun hippe Kritik an der Technik war so etwas wie ein gefundenes Fressen für sie und dieser Trend ging sogar bis zum Literaturwissenschaftler und Medienphilosophen McLuhan. Über Scheler, Plessner und Gehlen gelang diese Debatten in die Hände der Frankfurter Schule und zu den Existenzialisten sowie Phänomenologen bis hin zur ausgeprägten Kulturkritik Heideggers. Aber auch Blumenberg und Marx widmeten sich diesem Thema, dass sogar Debatten von Heute anheizt, was eigentlich so weit geht, dass m. E. eine technizistische Evolutionsphilosophie[9] entstehen wird – neben der Sprach, Medien und Kulturphilosophie (sowie natürlich der oft vergessenen Technikethik).  Daher soll eine Tabelle zur Verdeutlichung folgen, da ja gerade die Geschichte – hegelianisch-dialektisch – das dialektische der Technik offenbart:

 

Autor

Werk

Was

Problem

Bes.

Jahr

 

 

 

 

 

 

Platon

Timaios, Politeia u.  Nomoi

Technik noch in seiner ursprünglicheren Bedeutung

einseitig

Wissen von etwas …

μπειρία

ca. 365-348 v. Chr.

Aristoteles

Nikomachische ethik

Technik wird differenziert

In Abgrenzung zu Sophisten

Wissenschaftliche Methode,

φρόνησις

322 vor Chr.

Magnus

De homine

opus und artificium

Theologie

Aristotelismus verbreitet

ca. 1240

Leibnitz, Hegel

Theodizee,Wissenschaft der Logik

Homo faber

Theodizee

Technik als Innovation/Arbeit/Erfindung, vorbe. Entfremdung

1710, 1812-16 bzw. 1831

Kapp

Grundlinien einer Philosophie der Technik

»Organprojektion«

Anthropologisierung, metaphorisierung

Nachahmungskultur, Bereitet Gehlen u.s.w. vor

1877

Nietzsche

Fröhliche Wissenschaft, Götzen(-)dämmerung

Anthropologische Definition: Mensch als nicht festgestelltes Tier

Technik ist Notwendig, W z M, Übermensch

Notwendigkeit

1882,87 u. 1889

Marx

Das Kapital

Technik als komplexes Artefakt, Menschneersatz

Arbeit

Entfremdung

1867

Gehlen, Plessner u. Scheler

Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie u. Die Stellung des Menschen im Kosmos

Mensch als Mängelwesen

Transzendenz

Anthropologie

1950,1928 u.  1928

Cassierer

Form und Technik

Mündigkeit

Anderes Verhältnis zur Natur

Symbolismus

1930

Blumenberg

Wirklichkeiten, in denen wir leben

Defizientes Verhältnis von Natur und Technik

Übertragung

Theodizee

1981

Frankfurter Schule

Dialektik der Aufklärung (unteranderen)

Kulturkritik bzw. Kritische Theorie

Herrschaftscharakter

Instrumentalisierung der Vernunft

1947

Sprengler, Fromm

Der Mensch und die Technik, Haben oder Sein

Technik als Strategie, Kritik am Fortschritt

Grundprinzip (ähnlich wie bei Schopenhauer).

Lebensphilosophie

1931,1976

Heidegger

Sein und Zeit, Die Frage nach der Technik

Technik als Entfremdung, Seinsvergessenheit und Abstraktum

Bereitet Umweltethik vor

Mensch als Ressource

1927,

1950

Jonas

Das Prinzip Verantwortung

Mittelmaß finden

 

Unüberschaubarkeit

1979

Krämer, McLuhan

Bild - Schrift – Zahl,

The Extensions of Man

Kulturtechnik

 

„Linguistic turn“

2008

Böhme

Invasive Technisierung: Technikphilosophie und Technikkritik

 

Materielles Dispositiv

Transgression der Technik

Wahrnehmung

2008

 

Was sich deutlich aus der Tabelle herauslesen lässt, ist ein immer komplexerer Begriff, als auch Umgang mit der Technik, was ich schon im Vorwort skizziert hatte. Was früher noch Kunsthandwerk war, und man muss die „Hand“ betonen, konnte auf seinen jeweiliges Gebiet gebracht werden, auch wenn die schon da ein ausgedehnter Begriff – ausgedehnter als heute.                                                                                                                                                                          Heute aber wird jeder Aspekt, der durch Technik oder technisch offengelegt wird, der Technik unter die Lupe genommen. Allein daraus lässt sich der Kampf ablesen, den die Technik führt, indem die langsam, ganz langsam, wie eine Krankheit, in alle Facetten hervordringt. Auch Böhm spricht ja von einer Invasion. Da sie einen großen Erfolgs- als auch Aufmerksamkeitsraum einnimmt und ihr Erfolg im Vordergrund steht, ihr Funktionieren, ist ihr Scheitern unmöglich. Gerade sie nährt sich ja von der Verbesserung, Aktualisierung, Zweckentfremdung und dem Fortschritt. Sie dient sogar als Begründungsmodell: Warum starben sie Menschen im Mittelalter so schnell? Nun, die hatten ja nicht die technischen Mittel von heute.

 

„Jeder Wassertropfen ist ein Schlachtfeld, und wir, die den Kampf auf dem Lande so beständig vor Augen haben, daß wir seine Selbstverständlichkeit, ja sogar sein Vorhandensein vergessen, sehen heute mit Grauen wie phantastische Formen der Tiefsee das Leben des Tötens und Getötetwerdens führen.“[10]

 

 

 

 

  1.  Moderne Technik und die Medien als Technik

3.1 Was ist und sind ein Medium, die Medien?

 

„Technik ist ein grundlegender Faktor der Alltäglichkeit geworden.“[11]

Der Mensch ist in eine technisierte und technizistische Welt ge-worfen: Die Soziologie spricht  von Digital Natives[12]. „Wir leben schon immer in einer Welt von praktischen Bezügen (…), d.h. im Umgang in der Alltäglichkeit.“[13] Nicht im Wald, sondern im Krankenhaus kommen wir zur Welt, stecken von Anfang an neben und in technischen Apparaten – in einem System aus zusammenhängenden Informationen. Unsere Daten sind heute unser Eigentum und wir sind erpicht darauf, diese zu schützen. Und schon bevor wir überhaupt zur Welt kommen, sind wir (ob 3-dimensional oder gar 4-demensional) medial als Ultraschallbild vermittelt. Doch um  Apparate soll es mir nicht gehen.  Dabei sind keine Artefakte gefragt, die längst als Alltagsgegenstände bekannt sind, auch keine Kernkraftwerke, die besonders wichtig für Heideggers Auffassung von „Moderner Technik“ und die den meisten Menschen eher aus dem Fernseher bekannt sind, sondern die technischen Errungenschaften, die unseren Alltag erleichtern, indem sie simple und überschaubare Prozesse erleichtern und beschleunigen: Wir kommen besser, schneller, einfacher und eben auch günstiger ans Ziel (unserer „selbst“ gesetzten Zwecke): Komplexe Prozesse werden heruntergerbrochen und einfach gemacht; auf eine Wahrnehmungsebene gezogen. Ist das so?                                                         Nun sind Medien aber auch etwas Technisches. Schon Schrift ist Technik. Es gibt keine Medien ohne Technik. Keine Medium, das nicht technisch ist. Nicht nur weil man Tonnen an Elektronik mobilisieren und verarbeiten muss, damit Licht aus fremden Gegenständen strahlt oder um eine schlichte Zeitung zu drucken, auch sie beschleunigen das Erhalten von Informationen. Wir müssen, einfach gesagt, nicht mehr das Haus verlassen, in die Welt gehen, um etwas über sie in Erfahrung zu bringen: Es genügt die Zeitung aufzuschlagen, die der Zeitungsjunge gebracht hat oder das elektronische Gerät anzuschalten, welches durch das wohl eben genannte Werk ver-sorgt wird, um zu lesen, und falls wir dazu zu „faul“ sind, lassen wir es und vor-lesen, denn von solchen Programmen, Sonderfunktionen und Apps regnet es im WWW.                                                    Schließlich kommen wir im Internet billig an unsere Information, Dienstleitung oder einen Ehemann (denn auch von Partnervermittlungsinstituten wimmelt es) oder sonst etwas heran, bekommen den Zweck. Das Internet ist wie das Kraftwerk, ein universelles Mittel zum Zweck, nur das wir das Kraftwerk brauchen, um die Vermittler des Internets, die die es auf die Wahrnehmungsebene ziehen, be-treib-en zu können. Treiben und Trieb liegen nah beisammen.

“Die Glücksbringer, die neuen Medien, erfüllen diese verheißungsvolle Aufgabe allein durch ihr technisches Vermögen. (…) Die neuen Medien erfreuen sich zugleich einer Universalität, denn wer sich ihrer auf dem Felde der Kunst und Kultur bedient, kann gewiß sein, daß keine Grenzziehungen zu erwarten sind.“[14]  Medien arbeiten an und für sich auf vielen Ebenen technisch, doch das Wesentliche an ihnen ist nichts Technisches. Über die Vorgänge, die dahinter stehen, also die mir ermöglichen, was ich will, weiß niemand Bescheid. Es ist noch immer das gleiche Problem wie vor tausend Jahren, auf das auch Heidegger schon in Sein und Zeit verweist. Solange das Gerät funktioniert, ist es mir egal, wer oder was da drinnen haust. Erst wenn das Gerät defekt ist, und ich meinen Zweck nicht mehr bekommen kann oder einen anderen Weg suchen muss, oder vielleicht sogar bereits einen anderen Weg kenne, dieser aber schwieriger zu begehen ist, worauf ich mich aus Bequemlichkeit aber nicht einlassen mag, wird das „Innere“ interessant: Wie interessant? Notwendig interessant[15]. Erst dann wird demontiert und erst dann wird deliberiert. Oft ist es dann aber schon zu spät. So mancher ertappt sich dann bei einem erhabenen Gefühl und findet sich verzweifelt vor, über das, was da vor-gefunden wird. Den meisten Menschen ist dies zu stressig oder ihnen fehlt einfach das Fachwissen. In einer Wegwerfgesellschaft wie unserer, die durch Obsoleszenz geprägt ist, ist aber kein Drama. Technik wird schnell obsolet, muss neu gemacht werden oder muss durch Updates gefüttert werden. Wissenschaft und Technik gehen dabei Hand in Hand: Die Spur, die Differenz, also die Geschichte – und damit die Zusammenhänge – werden aber gelöscht, auf die visuelle Darstellungsebene wird nur das gezogen, was neu ist und Bestand, also Nutzen hat: Denn Platz im Internet ist zwar vorhanden, was nicht heißen soll, dass auch bereits Cybermüll eine Bedrohung darstellt, allerdings auf mehreren Ebenen heiß umkämpft.[16]  Eine Anzeige oder Werbung muss noch immer Prinzipien der Nützlichkeit gehorchen, was so viel heißt wie, dass Informationen gut platziert, schnell zu erfassen und leicht zu lesen sein müssen. Ein gewisser Druck ist daher ebenfalls „vorprogrammiert“. Leistungen, z.B. Rechenleistungen,  werden immer besser, d. h. schneller: Was heute dem neusten Stand der Technik entspricht, kann schon morgen ins Museum ge-stellt werden. Dadurch entwickeln sich immer spezifischere Bereiche, wodurch sich immer mehr „Fachidioten“[17] entwickeln, wie man so schön sagt. Daher verwundert es nicht, dass  technische Geräte noch etwas Magisches für uns sind. Unsere Urteilskraft schwindet, während die Welten, die wir um uns herum aufbauen, immer komplexer und immer weniger nachvollziehbarer werden. Obwohl es jetzt noch immer Professoren gibt, die noch nicht einmal wissen, wie man einen Tageslichtprojektor (oder aus dem Griechischen und Lateinischen abgeleitet Polylux) einschaltet. Aber dem wollen wir uns nun nicht mehr weiterhin widmen.       Die Berichterstattung in unserer Höhle basiert auf „Mit-menschen“[18] außerhalb unserer Welt. Dies impliziert die Existenz der Anderen: Menschen machen Medien. Tatsächlich ist dieses Tun sogar ein sehr aufwendiges. Für das, was wir moderne und Mainstream Medien nennen, braucht man einen ganz Berg an technischen Geräten. Doch auch dies führt nicht zum Wesen. Es verdeutlicht lediglich, wie groß, fein und komplex das Netz aus technischem Zusammenhängen ist. Der Mensch sieht dieses aber nicht, be-findet sich diesem Netz gegenüber und reagiert sowohl bewusst, als auch unbewusst (spätestens im Falle eines Defektes bewusst – der Mensch ver-lässt sich ja auch auf die Technik) und lässt sich beeinflussen. Allein schon, weil er den Drang hat sich zu informieren, so wird er sich auch in-form bringen, sich selbst gestalten: Wir modifizieren uns – schon immer. Das Medium hat sich nur verändert.

 

„Es geht in der Technikphilosophie um nichts weniger als um das Sein des

Menschen, d.h. um die Weise, wie er ist.“[19]

 

 

 

 

3.2  Medientheorien (und Technisierung?)

 

„Das deutsche „Dach“ kommt aus dem gleichen Wortstamm wie das griechische "techne": Dachdecker sind demnach Künstler.“[20]

Der Medienbegriff leidet – keine Frage. Vielleicht aber gerade deswegen schlich sich eines Tages das Suffix „Philosophie“ an ihn, um Klärung zu verschaffen. Wenn man bedenkt wie oft dieser Begriff verwendet wird, im Sprachspiel für Verklärung und Unsinn sorgt, sicherlich ein nützliches, wenn auch kühnes Unterfangen.

„Schließlich war lange Zeit die Rede von einer Philosophie der Natur, bevor es Naturwissenschaften gab, oder die von einer Philosophie der Seele, bevor es die Psychologie gab. Hier aber handelt es sich weniger um eine Philosophie der Medien (… ) als um eine Bündelung von Fragen, die nach wie vor mit der philosophischen Frage nach der Conditio humana, nach der Stellung des Menschen in der Welt zu tun haben (…).“[21]

Die Medienwissenschaft oder oft auch reaktiv Medienwissenschafft-en genannt, ist eine noch sehr junge Wissenschaft, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet und streng genommen auch keinen wirklichen, benennbaren Gegenstand hat.[22] Logisch ist es also nur, dass die Medienphilosophie vor ähnlichen Wurzel und Problemen steht, da sie ja schließlich aus ihr endstanden ist. Sie fragt aber nicht nach der berühmten Frage: Was ist ein Medium? Wie es die Literaturwissenschaft praktiziert. Sondern hinterfragt andere Gegenstände.

„Ein Beispiel wäre der Computer, dessen Thematisierung sich vom epistemischen Ding (frühe kybernetische Phase) zum technischen Ding (60erJahre) und dann zum »Medium« wandelte. Als »Medium« interessieren am Computer weniger die anthropologischen Kränkungen eines »Elektronengehirns« oder die zivilen und militärischen Einsatzmöglichkeiten als Kalkulator, sondern die kulturellen oder diskursiven Bedingungen, die er zugleich schafft und verkörpert.“[23]

Dabei wird die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Kultur gelenkt, und auf den Umgang (des Menschen) mit „Kultur oder Kulturgegenständen“.

Diese Gegenstände sind Teilhaber unserer Erfahrungswelt. Manchmal sind die in unserem Sichtfeld, manchmal an unserem Sichtfeld, manchmal in unseren Taschen und manchmal erschaffen sie unser Sichtfeld erst. Wobei letzteres schon eine Arbeit für sich sein könnte.

„Die Griechen nannten das "theoria". Gefahrloses und erfahrungsloses Erkennen. Jetzt allerdings wird es möglich, Instrumente aus dem Fenster nach außen zu stecken, um auf gefahrlose Art und Weise Erfahrungen zu gewinnen. Die erkenntnistheoretische Frage lautet: Sind Experimente impertinent, weil sie vom Fenster aus (von der Theorie her) durchgeführt werden? Oder muß man durch die Tür, um zu erfahren? Türen sind Mauerlöcher zum Ein- und Ausgehen. Man geht aus, um die Welt zu erfahren, und verliert sich dort drinnen, und man kehrt heim, um sich wiederzufinden, und verliert dabei die Welt, die man erobern wollte. Dieses Türpendeln nennt Hegel das "unglückliche Bewußtsein". “[24]                                

Was aber, wenn es die Welt da draußen so komplex ist, dass einen die Erhabenheit dauerhaft überwältigen kann? Denn genau das macht die Technik. Sie revidiert unsere Auffassung von Realität zu Auffassungen von Realitäten, damit überhaupt noch Orientierung sattfinden kann. Ist es deswegen so, dass viele Menschen lieber drinnen bleiben und sich einen anderen Weg suchen, um sich zu verlieren? Ich sage JA. Denn genau das ist, was „Medienmacher“ machen. Welten werden ent-worfen, um sich in ihnen, selbst ent-werfen und weiter ent-“wickeln“ zu können. Damit ist natürlich nicht das Aktionssubjekt genannt, sondern das konstituierte, artifizielle Subjekt, als vielleicht Avatar, welches durch das Aktionssubjekt gesteuert wird. Die Relation zwischen Avatar und Aktionssubjekt ist dabei radikal geöffnet.„Technische Rationalität heute ist die Rationalität der Herrschaft selbst.“[25] Früher ging man in die Fremde, um sich zu verlieren, um etwas Neues zu lernen und sich weiter zu entwickeln, heute geht man in die Medienwelt, um sich selbst zu vergessen oder um das vergessen, für was man sich hält oder was man meinst, von anderen gehalten zu werden: „Du musst erst auf Wanderschaft gehen, und dann kannst du in die Heimat zurückkehren – und dann wirst du die Anderen verstehen.“[26] Unsere Nutzung der Medien ist also komplex.

„Ein Medium sieht Postman als Metapher und meint damit, dass sich mit der Einführung einer neuen Technik, etwa des Schreibens oder der Uhr, in einer Gesellschaft nicht nur die Möglichkeiten der Menschen erweitern, sondern dass sich mit ihr vielmehr auch ihre Denkweise und der Inhalt ihrer Kultur verändern.“[27]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3.3 Der Unterscheid und der Unterschied zwischen Krämer und MacLuhan

 

„Während in Computerspielen das Ich im virtuellen Körper des Avatars auftritt, gerät auf Plattformen wie youtube Individualität nicht weniger zur Camouflage.“[28]

Sybille Krämer definiert Medien als Unterschiede, die einen Unterschied machen[29], also eine abstrakte In-form-setzung, die einen konkreten Unterschied (Information) konstituiert – formiert, ein Unterschied zwischen Medium und Form, wobei immer nur die Form in unser Bewusstsein tritt[30]. Erstaunlich nah kommt sie so Heideggers Unterscheindung von Zu- und Vorhandenheit in Sein und Zeit[31].  Erst durch das „Rauschen“ (Krämer) oder eben das kaputt gehen (Heidegger), zerreißt das Sein die Transparenz des Mediums, wird die Seinsvergessenheit sich selbst bewusst (wie wenn man feststellt, dass man etwas vergessen hat), wie wen man ein Haus erst bemerkt, wenn es abgerissen wurde; die Abwesenheit setzt den Unterschied zum vorherigen Unterscheid. Manch einem wird erst (wieder) bewusst, wenn der Fernseher Bildstörungen vermittelt, dass er Informationen aus einem Fernsehen wahrnimmt. Vor allem das TV-Gerät etwas, dass – wie nun das Internet – zur gesellschaftlichen Norm erstarrt ist (Gegenbewegungen beweisen es[32]). Schließlich geht es um die Information, ihr Medium ist auswechselbar bzw. welches Medium wann und wo verwendet wird, liegt am Nutzer, der durch an hohes Maß an Flexibilität und Möglichkeit, vor die Wahl ge-stellt ist: Informationen sind zu jeder Zeit abrufbar und mittlerweile eigentlich auch, da die Welt immer weiter vernetzt wird, überall.

„Denn nur soweit Medien überhaupt eine sinnmiterzeugende und nicht bloß eine sinntransportierende Kraft zugesprochen wird, entpuppen sie sich als interessante Gegenstände geistes und kulturwissenschaftlicher Arbeit.“[33]                                                                                                                                                                      Medien stellen uns also in einen Mediennetz oder in ein intermediales Geschehen[34], genau wie Dasein oder die Frage nach dem Sein (ontologische Differenz) bei Heidegger.

„Bei McLuhan sieht man eine ähnliche Argumentation, im Gegensatz zu Luhman[35], also einer Konstituierung von Indifferenz, die Medien alles andere als unschuldig macht: McLuhan zeigt, daß Medien nicht-neutral sind und somit die Botschaft formen (…).“[36]

Der Umgang mit Medien habe also einen anthropologischen und kritischen Nachgeschmack, ihre Funktion ist eine technische: „Während die mechanischen Techniken die körperlichen Funktionen des Menschen in ein Außen verlagern, exteriorisieren die elektronischen Medien das Zentralnervensystem und die Sinnesorgane.“[37]                                                                                                                                        Neue Informationen werden dem Menschen so nicht nur zugänglich gemacht, er gewöhnt sich an den Inhalt, als auch an die Form. Die Technik in ihrer Entwicklung macht den „blinden Fleck“ immer blinder, das Rauschen immer leiser. Der Effekt, der einsetzen soll, sobald sich ein Unterscheid im Ge-brauch äußert, wird geschmälert – kritisches Denken, oder zumindest das Hinterfragen an sich, kann daher ebenfalls schwinden.

„Mit dem durchaus willkommenen Effekt, daß einer Technik, die als prothesenhafte Verstärkung und Entlastung des Menschen interpretiert wird, der Stachel des Fremdartigen, also gerade das Monströse genommen ist. Das anthropomorphe Technikmodell leistet gerade dies: Das, was an den technischen Apparaturen unvertraut und ungewöhnlich ist, dem Menschen vertraut und gewöhnlich zu machen.“[38]    Der „Transport“ macht das Auge blind für seinen Vermittlungsträger, da die Transparenz sich immer näher an die Realität und Wahrheit heran pirscht. Die ästhetische Qualität eines Beitrags trägt aber nicht hinreichend zu dessen Wahrheitswert bei.

„Da sich, so Nobert Bolz, moderne Gesellschaften durch Kontingenz und plurale Rollenidentifikationen  auszeichnen - „man spielt die Rolle, man selbst zu sein“ -, bezeichnet Authentizität einen „spezifisch antimodernen Affekt“: „Es ist kein Zufall, daß im Zeitalter der Virtual Reality die eigentliche Wirklichkeit, Echtheit und Wahrheit auf der Straße gesucht werden – eben street credibility.““[39]

 

 



[1]Fonic, Werbespot, 2012.

[2]https://www.bpb.de/wissen/r009c6 (Stand: 20. 01.2013).                                                                                  

[5]Vgl. Martin Heidegger, Die Technik und die Kehre, Opuscula, Neske, 1962,  S. 37.

[6]Friedrich Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, Werke und Briefe: Erstes Buch, S. 53. Digitale Bibliothek Band 31: Nietzsche, S. 5905 (vgl. Nietzsche-W Bd. 2, S. 61-62) (c) C. Hanser Verlag].

[7]Alexander Gottlieb Baumgarten, Aesthetica, 1750-58.

[8]Ernst Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik, 1877.

[9]Die Evolution ist eine permanente Verbesserung oder Anpassung an die jeweilige ökologische Nische. Diese Aufgabe wird aber zunehmen von der Technik übernommen: Vgl. Olly Bootle, Evolution ohne Ende?, Arte F,  Großbritannien, 2010.

[10]Oswald Sprengler, Der Mensch und die Technik, S. 8.

[11] Lic. Armando Aníbal Chiappe, Martin Heideggers »Ontologisierung der Praxis« und ihre Relevanz für die hermeneutische Technikphilosophie. Dresden, 2010, S. 137.

[12]Marc Prensky: https://www.marcprensky.com/writing/prensky%20-%20digital%20natives,%20digital%20immigrants%20-%20part1.pdf.

[13]Lic. Armando An´bal Chuappe. Martin Heideggers »Ontologisierung der Praxis« und ihre Relevanz für die hermeneutische Technikphilosophie, S. 139.

[14]Kai-Uwe Hemken, Bilder in Bewegung – Traditionen digitaler Ästhetik, Dumont, Köln, 2004, S. 7.

[15] Hier kann man eine weitere Parallele zu Heidegger ziehen, der in seiner Vorlesung der Grundprobleme der Philosophie von 1927, das Denken und den Umgang mit dem Sein der Griechen als eben diesen Zustand  - in seiner Geschichtlichkeit – beschreibt.

[16]Ebd., (Kai-Uwe Hemken).

[17]„Substantiv, maskulin - jemand, der sich nur mit seinem Fachgebiet befasst.“: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/Fachidiot (Stand: 05.04.2013 [16 Uhr 52]).

[18]Diese fremden Augen, durch die wir sehen, gehören Menschen, die wir nicht kennen, aber Teilhaber unserer Epoché sind. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, § 12, S. 54.

[19]Lic. Armando Aníbal Chiappe, Martin Heideggers »Ontologisierung der Praxis« und ihre Relevanz für die hermeneutische Technikphilosophie. Dresden, 2010. S. 137.

[20]Vilém Flusser, Durchlöchert wie ein Emmentaler: Über die Zukunft des Hauses bzw. Häuser bauen aus Medien-Kultur, Fischer, Frankfurt a. Main, 1998. S. 160.

[21]Frank Hartmann, Medienphilosophische Theorien, 2003, S. 209, (https://www.medienphilosophie.net/texte/Medienphilo_Theorie.pdf).

[22]Claus Pias, Medienwissenschaft, Medientheorie oder Medienphilosophie?, Wien, S. 76ff.

[23]Ebd., S. 77.

[24]Vilém Flusser, Durchlöchert wie ein Emmentaler oder Häuser bauen, S. 161

[25]Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente, Frankfurt a. Main, S. Fischer, 1969, S. 129.

[26]Loren Marti, Ludwig Wittgenstein – Der schweigende Philosoph, SRF Kultur, 2011 (https://www.youtube.com/watch?v=faKgR1PtP00  [17: 46], (Stand: 31.01. 13 [23 Uhr 08]).

[27]Christine Weinschenk, https://www.hdm-stuttgart.de/ifak/medienwissenschaft/medienkritik_medienwirkung/medienkritik_in_der_2_haelfte_des_20_jahrhunderts/medienkritik_weinschenk (Stand: 15.02.2013 [17 Uhr 07]).

[28]Christoph Zeller, Ästhetik des Authentischen, S.291.

[29]Reinhard Margreiter, Medienphilosophie: Eine Einführung, Parerga Verlag, Berlin, 2007, S. 211.

[30]Ebd.

[31]Martin Heidegger, Sein und Zeit, S. 68ff.

[32]Trend ist es nun keinen Fernseher mehr zu haben.

[33]Sybille Krämer, Medien,Computer, Realität: Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien. https://www.wmg-seminar.de/html/texte/sk/das-medium-als-spur-und-apparat.htm, (Stand: 03.04.2013, [23 Uhr 42]), S. 73.

[34]Reinhard Margreiter, Medienphilosophie: Eine Einführung, S. 211.

[35]Sybille Krämer, Medien – Computer – Realität, https://www.wmg-seminar.de/html/texte/sk/das-medium-als-spur-und-apparat.htm.

[36]  Ebd.

[37]  Ebd.

[38]  Ebd.

[39]Christoph Zeller, Ästhetik des Authentischen, S. 291.